Zwischen Provokation und einem Lächeln
Streetart findet nicht am hellichten Tag statt, sondern verborgen und meist illegal. Der Künstler Schwirbel nimmt mich mit auf einen nächtlichen Streifzug durch Wiens Gassen und Bars. Ausgerüstet mit Spraydose und Marker zeigt er, wie er arbeitet. Außerdem erklärt er seine Motivation für diese Art von Kunst und spricht über die Szene.
Es ist zwei Uhr nachts, ende Dezember 2013. Völlig in Schwarz gekleidet, mit Kapuze über dem Kopf, geht er die Währinger Straße in Wien hinab. Eine Spraydose raschelt in seiner Jackentasche. „Auf solchen Straßen fühle ich mich immer wie auf einem Präsentierteller. In jedem Auto könnten Zivilpolizisten sein.“ Er observiert die Straße und verschwindet in einem Hauseingang. Ein paar Sekunden später setzt er seinen Weg entlang der Straße fort, während die frisch gesprühte Farbe an der Wand trocknet. Schwirbel ist sein Deckname und er ist Streetart-Künstler. Seine echte Identität soll verborgen bleiben.
Damit angefangen hat er vor 10 Jahren, in der Schule. Er zeichnete damals simple Männchen, die mit der Form und den Linien des Papiers interagierten. Sein Faible für Graffiti brachte ihn später dazu, diese Männchen, die Schwirbel, auch auf der Straße zu malen. Zwei weitere Gründe, warum er genau diese Schwirbel zu seinem Markenzeichen machte, waren erstens seine Neugier, welche Möglichkeiten urbane Strukturen für die Männchen bieten, und zweitens, wie er im Interview selbst zugibt, ist er kein guter Tagger. Das bedeutet, er ist nicht gut im Umgang mit Buchstaben.
Nach einer U-Bahnfahrt von der Station Schottentor bis Kettenbrückengasse, ist er wieder auf der Suche nach geeigneten Stellen, an denen seiner Meinung nach Schwirbel platziert werden müssen. Er zieht weisse Handschuhe an und holt die Spraydose aus seiner Jackentasche. Auf die Frage, was Schwirbel bedeutet, lacht er, und sagt: „Ein Freundin hat einmal gesagt, sie mag es, wie diese Dinger fröhlich umher schwirbeln und schwurbeln. Ich fand das lustig, deshalb habe ich sie danach benannt“.
Auf dem Weg in den vierten Wiener Gemeindebezirk entdeckt er eine Wand mit diversen Graffitis. „Das ist die perfekte Wand“ sagt er, und erläutert, dass er meist nur bereits bemalte Wände benutzt, und saubere Wände nur dann, wenn diese „ohne einen Schwirbel einfach nicht auskommen“, so seine Worte. Als er an der Wand ansetzt, trennen sich abrupt unsere Wege, weil er eine Passantin auf sich zukommen sieht. Schwirbel marschiert in eine Seitengasse, doch der Geruch des Lacks bleibt. Die Passantin sieht sich um, geht dann aber weiter ihren Weg. Zwei Minuten später kehrt Schwirbel an den Ort zurück und beendet die Zeichnung.
Als seinen Ursprung nennt Schwirbel die oberbayerische Stadt Ingolstadt. Dort ist er bereits bekannt, wie aus der örtlichen Lokalpresse deutlich wird. Einige Politiker haben bereits in Erwägung gezogen, den Schwirbel als Aushängeschild der Stadt zu verwenden. Außerdem gibt es einen Blog einer Privatperson, auf welchem viele seiner Werke festgehalten und publiziert werden. Dem gegenüber steht die ingolstädter Polizei und weitere Stimmen, die ihm Vandalismus vorwerfen. Dass der Schwirbel polarisiert, findet der Künstler gut und er kann beide Seiten verstehen und respektieren. „Meine Intention ist es, Jemandem der einen Schwirbel sieht, ein Lächeln zu entlocken. Daran hat sich nichts geändert. Zugute kommt mir, dass der Schwirbel nicht so sehr provoziert wie ein Tag. [Erklärung des Wortes "Tag"] Viele können Tags nicht lesen und bezeichnen sie deshalb als Schmiererei. Meine Provokation ist, dass ich überall bin und du mir nicht böse sein kannst, weil ich dich immer anlache.“
Er grinst und nimmt einen Schluck Bier in einer Bar, in der Joanelligasse. Ich frage ihn, ob er sich in der Streetart Szene einer bestimmten Stadt stärker involvieren möchte. Er antwortet: „Die Stadt und die Künstler in Ingolstadt sind mein Ursprung. Sie haben mir viel beigebracht. Aber Schwirbel bewegt sich. Er hat keinen festen Wohnsitz.“
Auf dem letzten Streifzug des Abends thematisiert der Künstler den Hang zur Egozentrik innerhalb der Graffitiszene. Der Anlass dazu ist Puber, der wohl weitest verbreitete Tag in Wien. [Artikel zu Puber auf thegap.at] „Wie Hesse gesagt hat: Eigensinn macht Spaß. Wenn man etwas macht, was Aufmerksamkeit erregt, dann geht das Hand in Hand. Ein Problem wird das nur, wenn das Ego so ins Zentrum rückt, dass es nicht mehr um das Werk des Künstlers geht, sondern nur noch um die Darstellung des Menschen dahinter.“ Als er an einem Puber Schriftzug vorbeigeht sagt er dazu kurz: „Im ersten Moment war ich fasziniert von der Quantität, aber im zweiten Moment langweilt es mich. Der ist wie ein Hund, der an jede Ecke pisst.“
Schwirbel zückt seine Dose an einer Wand, auf der ein Kiwi gemalt wurde und ergänzt daran eine Figur. Da an dieser Stelle viele andere Werke zu sehen sind, frage ich, warum er den Schwirbel genau neben den Kiwi gesetzt hat und möchte seine Definition von Streetart erfahren. Er sieht die Wand an und überlegt eine Zeit. Dann sagt er: „Streetart ist ein Medium für eine Gesellschaftsschicht, die etwas sagen möchte, aber wenn sie sprechen würden, würde ihnen keiner zuhören.“ Während wir weitergehen ergänzt er: „Uns wird immer gesagt, wir zahlen brav Steuern, deshalb haben wir keine Löcher in den Straßen. Ich bin aber auch der brave Steuerzahler und habe keinen Bock auf einen grauen Betonklotz.“ Er äußert des Weiteren, dass er nach Möglichkeit öffentliche Gebäude für seine Kunst wählt. Paradox wirkt dies, da er an diesem Abend fast ausschliesslich private Gebäude bemalt.
Um fünf Uhr morgens wirft der Künstler die leere Spraydose in einen öffentlichen Mülleimer und ist zufrieden. Er hat in dieser Nacht ungefähr 30 Schwirbel gemalt. Bevor wir uns verabschieden, möchte ich erfahren, welche Pläne er für die Zukunft hat. Die Antwort lautet: „Ein Stichwort: Schnitzeljagd. Mehr sage ich zu dem Thema nicht. Ansonsten, keine Ahnung. Ein bisschen durch die Gegend schwurbeln halt.“ Er gibt mir die Hand und steigt am U-Bahnhof Schottenring in die U4, Richtung Hütteldorf.
tschöss,
le matze
Streetart findet nicht am hellichten Tag statt, sondern verborgen und meist illegal. Der Künstler Schwirbel nimmt mich mit auf einen nächtlichen Streifzug durch Wiens Gassen und Bars. Ausgerüstet mit Spraydose und Marker zeigt er, wie er arbeitet. Außerdem erklärt er seine Motivation für diese Art von Kunst und spricht über die Szene.
Es ist zwei Uhr nachts, ende Dezember 2013. Völlig in Schwarz gekleidet, mit Kapuze über dem Kopf, geht er die Währinger Straße in Wien hinab. Eine Spraydose raschelt in seiner Jackentasche. „Auf solchen Straßen fühle ich mich immer wie auf einem Präsentierteller. In jedem Auto könnten Zivilpolizisten sein.“ Er observiert die Straße und verschwindet in einem Hauseingang. Ein paar Sekunden später setzt er seinen Weg entlang der Straße fort, während die frisch gesprühte Farbe an der Wand trocknet. Schwirbel ist sein Deckname und er ist Streetart-Künstler. Seine echte Identität soll verborgen bleiben.
Damit angefangen hat er vor 10 Jahren, in der Schule. Er zeichnete damals simple Männchen, die mit der Form und den Linien des Papiers interagierten. Sein Faible für Graffiti brachte ihn später dazu, diese Männchen, die Schwirbel, auch auf der Straße zu malen. Zwei weitere Gründe, warum er genau diese Schwirbel zu seinem Markenzeichen machte, waren erstens seine Neugier, welche Möglichkeiten urbane Strukturen für die Männchen bieten, und zweitens, wie er im Interview selbst zugibt, ist er kein guter Tagger. Das bedeutet, er ist nicht gut im Umgang mit Buchstaben.
Nach einer U-Bahnfahrt von der Station Schottentor bis Kettenbrückengasse, ist er wieder auf der Suche nach geeigneten Stellen, an denen seiner Meinung nach Schwirbel platziert werden müssen. Er zieht weisse Handschuhe an und holt die Spraydose aus seiner Jackentasche. Auf die Frage, was Schwirbel bedeutet, lacht er, und sagt: „Ein Freundin hat einmal gesagt, sie mag es, wie diese Dinger fröhlich umher schwirbeln und schwurbeln. Ich fand das lustig, deshalb habe ich sie danach benannt“.
Auf dem Weg in den vierten Wiener Gemeindebezirk entdeckt er eine Wand mit diversen Graffitis. „Das ist die perfekte Wand“ sagt er, und erläutert, dass er meist nur bereits bemalte Wände benutzt, und saubere Wände nur dann, wenn diese „ohne einen Schwirbel einfach nicht auskommen“, so seine Worte. Als er an der Wand ansetzt, trennen sich abrupt unsere Wege, weil er eine Passantin auf sich zukommen sieht. Schwirbel marschiert in eine Seitengasse, doch der Geruch des Lacks bleibt. Die Passantin sieht sich um, geht dann aber weiter ihren Weg. Zwei Minuten später kehrt Schwirbel an den Ort zurück und beendet die Zeichnung.
Als seinen Ursprung nennt Schwirbel die oberbayerische Stadt Ingolstadt. Dort ist er bereits bekannt, wie aus der örtlichen Lokalpresse deutlich wird. Einige Politiker haben bereits in Erwägung gezogen, den Schwirbel als Aushängeschild der Stadt zu verwenden. Außerdem gibt es einen Blog einer Privatperson, auf welchem viele seiner Werke festgehalten und publiziert werden. Dem gegenüber steht die ingolstädter Polizei und weitere Stimmen, die ihm Vandalismus vorwerfen. Dass der Schwirbel polarisiert, findet der Künstler gut und er kann beide Seiten verstehen und respektieren. „Meine Intention ist es, Jemandem der einen Schwirbel sieht, ein Lächeln zu entlocken. Daran hat sich nichts geändert. Zugute kommt mir, dass der Schwirbel nicht so sehr provoziert wie ein Tag. [Erklärung des Wortes "Tag"] Viele können Tags nicht lesen und bezeichnen sie deshalb als Schmiererei. Meine Provokation ist, dass ich überall bin und du mir nicht böse sein kannst, weil ich dich immer anlache.“
Er grinst und nimmt einen Schluck Bier in einer Bar, in der Joanelligasse. Ich frage ihn, ob er sich in der Streetart Szene einer bestimmten Stadt stärker involvieren möchte. Er antwortet: „Die Stadt und die Künstler in Ingolstadt sind mein Ursprung. Sie haben mir viel beigebracht. Aber Schwirbel bewegt sich. Er hat keinen festen Wohnsitz.“
Auf dem letzten Streifzug des Abends thematisiert der Künstler den Hang zur Egozentrik innerhalb der Graffitiszene. Der Anlass dazu ist Puber, der wohl weitest verbreitete Tag in Wien. [Artikel zu Puber auf thegap.at] „Wie Hesse gesagt hat: Eigensinn macht Spaß. Wenn man etwas macht, was Aufmerksamkeit erregt, dann geht das Hand in Hand. Ein Problem wird das nur, wenn das Ego so ins Zentrum rückt, dass es nicht mehr um das Werk des Künstlers geht, sondern nur noch um die Darstellung des Menschen dahinter.“ Als er an einem Puber Schriftzug vorbeigeht sagt er dazu kurz: „Im ersten Moment war ich fasziniert von der Quantität, aber im zweiten Moment langweilt es mich. Der ist wie ein Hund, der an jede Ecke pisst.“
Schwirbel zückt seine Dose an einer Wand, auf der ein Kiwi gemalt wurde und ergänzt daran eine Figur. Da an dieser Stelle viele andere Werke zu sehen sind, frage ich, warum er den Schwirbel genau neben den Kiwi gesetzt hat und möchte seine Definition von Streetart erfahren. Er sieht die Wand an und überlegt eine Zeit. Dann sagt er: „Streetart ist ein Medium für eine Gesellschaftsschicht, die etwas sagen möchte, aber wenn sie sprechen würden, würde ihnen keiner zuhören.“ Während wir weitergehen ergänzt er: „Uns wird immer gesagt, wir zahlen brav Steuern, deshalb haben wir keine Löcher in den Straßen. Ich bin aber auch der brave Steuerzahler und habe keinen Bock auf einen grauen Betonklotz.“ Er äußert des Weiteren, dass er nach Möglichkeit öffentliche Gebäude für seine Kunst wählt. Paradox wirkt dies, da er an diesem Abend fast ausschliesslich private Gebäude bemalt.
Um fünf Uhr morgens wirft der Künstler die leere Spraydose in einen öffentlichen Mülleimer und ist zufrieden. Er hat in dieser Nacht ungefähr 30 Schwirbel gemalt. Bevor wir uns verabschieden, möchte ich erfahren, welche Pläne er für die Zukunft hat. Die Antwort lautet: „Ein Stichwort: Schnitzeljagd. Mehr sage ich zu dem Thema nicht. Ansonsten, keine Ahnung. Ein bisschen durch die Gegend schwurbeln halt.“ Er gibt mir die Hand und steigt am U-Bahnhof Schottenring in die U4, Richtung Hütteldorf.
Schwirbels Utensilien für den Abend. Spraydose und Tabak. |
Müllraum am U-Bahnhof Schottentor. Die Tür wurde von einem Arbeiter offen gelassen. |
Der fertige Schwirbel im Müllraum. Der Künstler sitzt zu diesem Zeitpunkt bereits auf einer Bank nahe der Sraßenbahnstation und dreht eine Zigarette. Er möchte nicht auffallen. |
Die Handschuhe dienen dazu, keine Beweise an den Fingern zuzulassen. |
Bei einer Pause in einer Bar spricht Schwirbel über seinen Ursprung und erlaubt dieses Portrait. |
Nach ein paar Bieren kehrt er zurück auf die Straße und bemalt u.a. unbemerkt diese Mauer auf dem Dach eines U-Bahnsteigs. |
Schwirbel setzt die Dose an einem unfertigen Piece an. |
Geschwindigkeit spielt eine große Rolle. Schwirbel benötigt pro Bild nur wenige Sekunden. |
Der Künstler ergreift die Flucht, als eine Gruppe Jugendlicher auf der anderen Straßenseite aus einem Wohnhaus kommen. Sie bemerken ihn nicht. |
Das Markante an den Schwirbeln ist, dass sie sich in den urbanen Raum einfügen und mit ihm interagieren. Dieser Schwirbel fühlt sich eingeengt. |
Ein Schwirbel, der aussieht, als ob er einen Sprung wagen wolle. |
Ein Schwirbel grüßt Fußgänger auf dem Naschmarkt. |
Die Interaktion der Figuren beschränkt sich nicht auf bestehende Gebäudestrukturen. Da dem Künstler dieser Kiwi besonders gefällt, wird er von einem Schwirbel umarmt. |
Eine Wand, die scheinbar nicht ohne einen Schwirbel auskommt, ist dieses Garagentor. Etwa 20 private Wände besprayed der Künstler diese Nacht. |
Der Künstler entfernt sich von einem seiner Werke, das ihn zu verfolgen scheint. |
tschöss,
le matze